Am 26. August 2008 verkündete der russische Präsident Medwedew die Anerkennung von Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten. Er forderte andere Staaten auf, seinem Beispiel zu folgen. Die Entscheidung sei ihm schwergefallen, sie sei aber die einzige Möglichkeit zum Schutz des Lebens der dortigen Bevölkerungen. Im Westen stieß dies auf massive Kritik.
Umgehend zeterten westliche Politiker und Medien, mit am auffälligsten dabei die deutsche Kanzlerin. Das russische Vorgehen sei, so ereiferte sie sich, „absolut nicht akzeptabel“. Eine echte Partnerschaft verlange die Achtung von Menschenrechten, demokratischen Prinzipien – aber vor allem die Wahrung internationalen Rechts und damit der territorialen Einheit Georgiens.
Polens Staatspräsident Kaczynski warf der russischen Führung vor, Völkerrecht zu brechen. Mit der Anerkennung Südossetiens und Abchasiens wolle sie die Folgen ihrer „beispiellosen Aggression“ gegen den unabhängigen georgischen Staat sanktionieren, sagte Kaczynski.
Aus Paris, das aktuell die EU-Ratspräsidentschaft innehat, war zu vernehmen, die Anerkennung durch Russland stehe „im Widerspruch zu den Prinzipien der Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität Georgiens“.
Daß Saakaschwili am 08.08.08 brutal das südossetische Tschinvali stundenlang mit Mehrfach-Raketenwerfern, Artillerie, Mörsern, Panzern und Kampfflugzeugen weitgehend dem Erdboden gleich machen ließ, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit das seinesgleichen sucht und mindestens Hunderte, wahrscheinlich aber eine vierstellige Zahl massakrierter Zivilisten zur Folge hatte, verschweigen in an Zynismus und Heuchelei kaum zu übertreffender Weise all diese westlichen Politiker. Der Überraschungsangriff erfolgte nachts und wenige Stunden nachdem Saakaschwili friedliche Konfliktlösung, Waffenstillstand und Truppenrückzug angekündigt hatte. Über deutsche Regierungslippen kam bislang allerdings nur, es sei jetzt nicht die Stunde, über Schuldzuweisungen zu sprechen oder zu untersuchen, wer den Konflikt angefangen habe – und in jedem Falle sei das russische Verhalten „unverhältnismäßig“. Merkel flog lieber nach Georgien und schüttelte dem Mann, der nach den vorgeblichen westlichen Wertemaßstäben unzweifelhaft vor ein internationales Tribunal gehört, freundlich die Hand und stellte ihm die „selbstverständliche“ NATO-Mitgliedschaft in Aussicht. Regiert der pure Wahnsinn in Berlin? Beim nächsten Überfall Georgiens direkt in den Dritten Weltkrieg? Ist das die Perspektive und die Marschrichtung, der Merkel folgt? Als Israel unter dem Vorwand eines Überfalls der Hisbollah auf eine Grenzpatrouille im Sommer 2006 den halben Libanon für 33 Tage massivst bombardierte, kam das Wort „unverhältnismäßig“ nicht über Merkels Lippen. Auch von einer Forderung des Abzugs amerikanischer Truppen aus dem zerstörten und seit 5 Jahren besetzten Irak ist nichts bekannt. Sie weiß eben, welches ihre Prioritäten zu sein haben, „unsere“ Kanzlerin.
Westliche Medien versuchten auffällig einheitlich, gleich zu Beginn des Konflikts die getöteten südossetischen Zivilisten nicht etwa in ihrer zahlenmäßigen Höhe zu leugnen, sondern infamerweise als Folge der russischen Intervention gegen die georgische Barbarei darzustellen („Russische Invasion in Georgien! Schon 1.400 Tote!“).
Die hinsichtlich ihrer Zerstörungswucht binnen weniger Stunden hocheffektive, massenmörderische Raserei von Georgiern und Söldnern gegen Südossetien in und um Tschinvali bedurfte gewiß einer langen operativ-strategischen Vorbereitungszeit, in der sich Saakaschwili der Anwesenheit und aktiven Hilfe Hunderter US-Militärs und bis zu 1.000 israelischer „Militärberater“ erfreuen durfte (was wie zur weiteren Provokation Rußlands ganz offen mehrere israelische Medien berichteten), zudem auch der Aufrüstung mit hochmodernen Waffen durch die USA, Israel und weitere NATO-Staaten. Gegen geltendes deutsches Recht kamen auch massenhaft deutsche Waffen bei der georgischen Attacke auf Südossetien zum Einsatz.
Die russische Führung und russische Medien verschweigen solche Hintergründe nicht. Das Eingreifen russischer Soldaten wenige Stunden nach Georgiens Überraschungsangriff wurde von Südosseten und Abchasen als Nothilfe in größter Not und mit allergrößter Dankbarkeit empfunden. Sie wurden als Retter und Befreier gefeiert.
Medwedew verwies auch auf die Anerkennung der Unabhängigkeit der serbischen Provinz Kosovo: „Wir haben stets darauf hingewiesen, daß es danach unmöglich sein würde, den Abchasen und Osseten (und Dutzenden anderen Gruppen in der Welt) zu sagen, daß das, was für die Kosovo-Albaner gut war, für sie nicht gut genug sein soll.“
Der Hinweis auf das Kosovo ist völlig berechtigt. Hier brachen die USA, Deutschland und andere EU-Staaten aktiv und bewußt geltendes Völkerrecht: Schon mit dem unter dreisten Lügen und hanebüchensten Vorwänden (Erfindungen wie „Hufeisenplan“, „KZ im Fußballstadion von Pristina“, „Massaker von Racak“, „mit abgetrennten Köpfen von Kosovo-Albanern Fußball spielende Serben“, „aufgeschlitzten kosovo-albanischen Schwangeren entnommene Föten, die Serben dann grillen“) geführten NATO-Krieg gegen „Rest“-Jugoslawien 1999, aber auch ab Februar 2008 mit der Anerkennung gegen den Widerstand Serbiens, Rußlands und anderer Staaten sowie gegen geltende UNO-Resolutionen zum Kosovo.
Man kann und sollte aber schon noch etwas weiter zurückblicken, um die extreme Verlogenheit und Heuchelei sowie die Politik der doppelten Standards gerade der deutschen Politik zu entlarven. Völkerrecht zu brechen bzw. es jederzeit rigoros machtpolitischen Interessen unterzuordnen erscheint geradezu als eine Spezialität des wiedervereinten Deutschland, wenngleich in den letzten Jahren artig nach einer übergeordneten Pfeife tanzend.
Blicken wir zurück zum Dezember 1991:
Außenminister Genscher und Kanzler Kohl preschen gegen massive internationale Bedenken und Widerstände, gegen UN-Sicherheitsratsresolutionen und Warnungen des UN-Generalsekretärs Javier Pérez de Cuéllar vor mit der Anerkennung der nach Sezession von der Bundesrepublik Jugoslawien bzw. nach Unabhängigkeit strebenden Gebiete Slowenien und Kroatien. Sie stoßen den Rest der Welt vor den Kopf und erpressen ihre EG-Partner geradezu. Die Welt reibt sich verwundert die Augen und kann kaum glauben, was sich die deutsche Regierung erdreistet (ich verweise bzgl. folgender Ausführungen auf das hervorragende Buch „Die ehrlichen Makler“ von Ralph Hartmann).
De Cuéllar schrieb an Genscher: „Ich bin tief beunruhigt darüber, daß eine verfrühte, selektive Anerkennung den gegenwärtigen Konflikt ausweiten und eine explosive Situation hervorrufen könnte, besonders in Bosnien-Herzegowina und auch in Mazedonien; tatsächlich könnten schwerwiegende Folgen für die ganze Balkanregion daraus entstehen. Ich glaube daher, daß unkoordinierte Handlungen vermieden werden sollten.“
Lord Peter Carrington, vormals britischer Außenminister und NATO-Generalsekretär, schrieb ihm als Vorsitzender der Jugoslawienkonferenz warnend, eine frühzeitige Anerkennung Sloweniens und Kroatiens könne „der Funke sein, der Bosnien-Herzegowina in Brand setzt.“
Die Berliner Zeitung berichtete am 19. Dezember 1991: „US-Präsident George Bush [senior; RK] hat seine regelmäßige Telefoniererei mit dem Bonner Bundeskanzler eingestellt, denn der Chef der amerikanischen Supermacht ist verärgert. ´Bonn läßt in der Jugoslawienfrage die Muskeln spielen´, erklärt ein Sprecher des USA-Außenministeriums, ´und das ist uns gar nicht recht´.“
Wenige Tage zuvor hatte in New York bereits der UN-Sicherheitsrat in einer einstimmig angenommenen Resolution vor einer vorzeitigen Anerkennung Kroatiens und Sloweniens gewarnt und „alle Staaten dringend aufgefordert, auf jegliche Aktionen zu verzichten, die die Spannungen in Jugoslawien erhöhen sowie die Sicherung des Waffenstillstands behindern und eine friedliche Lösung des Konflikts verzögern könnten.“
Das alles scherte Kohl und Genscher allerdings herzlich wenig.
In einem Gespräch mit Johannes Paul II. stimmte sich Genscher bereits Ende November über das weitere Vorgehen ab (der Vatikan erkannte Slowenien und Kroatien sogar eher an als die EG dies tat).
Horst Grabert, jahrelanger früherer Botschafter der BRD in Jugoslawien schrieb 1993: „Der Vertrag von Maastricht wird am 10. Dezember 1991 von den Regierungschefs der EG unterschrieben, sechs Tage später werden die EG-Partner von Deutschland erpresst, die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens vorzunehmen. Deutschland werde am 18. Dezember anerkennen, wird dem Rat mitgeteilt. Soll die gerade in Maastricht vereinbarte gemeinsame Außenpolitik nicht schon nach sechs Tagen beerdigt werden, müssen die anderen EG-Führungsstaaten der deutschen Ankündigung folgen. Um die deutsche Führungsposition zu unterstreichen, wartet Deutschland nicht einmal den von der Gemeinschaft vereinbarten Termin zum 15. Januar 1992 ab, sondern vollzieht die Anerkennung ´noch vor Weihnachten´, wie Bundeskanzler Kohl den Deutschen Bundestag schon Mitte Dezember hatte wissen lassen.“ (Blätter für deutsche und internationale Politik, 2/1993).
Die Folgen waren ein nun endgültig unvermeidlich gewordenes Zerbrechen Jugoslawiens und ein blutiger Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina, wie jeder mit etwas Verstand wissen konnte und gewarnt hatte. Später dann folgte der sog. Kosovo-Krieg der NATO mit der barbarischen, vielwöchigen Zerstörung der gesamten serbischen zivilen Infrastruktur aus der Luft und die anschließende Schaffung des NATO-Protektorats auf dem Amselfeld, jahrhundertelang serbisches Kernland, heute ein Paradies für Mädchen-, Waffen- und Drogenhändler.
Pierre-Marie Gallors, französischer Luftwaffengeneral a.D. und führender Nuklearstratege wird von Ralph Hartmann bezüglich der unrühmlichen Rolle der BRD-Führung beim Ausbruch der jugoslawischen Krise wie folgt zitiert: „Die Zergliederung dieses Landes und die engere Ankopplung von Kroaten und Slowenen an die deutsche Wirtschaft brachten zum einen die Emanzipation jener Völker, die einst mit den Imperien in der Mitte Europas und dann mit dem ´Dritten Reich´ verbündet waren. Es bedeutet zum anderen eine Bestrafung der Serben, die so hartnäckig zu den Siegern der beiden Weltkriege gehalten hatten. Und drittens brachte es die letzten Reste jener Verträge zum Verschwinden, durch die Deutschland zweimal für seine Niederlagen bestraft wurde. Kurz, durch die Allmacht der Wirtschaft wurde zurückerobert, was durch Waffen verloren gegangen war.“
Genscher trat 1992 zurück. Im Juni 1993 machte der inzwischen amtierende US-Außenminister Warren Christopher die BRD für die Katastrophe in Bosnien-Herzegowina verantwortlich. „Es wurden beim gesamten Anerkennungsprozeß und vor allem bei der zu schnellen Anerkennung schwere Fehler gemacht, und die Deutschen tragen eine besondere Verantwortung dafür.“ Und: „Meine Regierung [unter Clinton; RK] war zu jener Zeit noch nicht im Amt, doch viele ernstzunehmende Fachleute sind der Meinung, daß die Probleme, denen wir heute gegenüberstehen, aus der Anerkennung Kroatiens und später Bosniens abzuleiten sind.“
Frankreichs Außenminister Roland Dumas gab zu, daß die EG „aufgrund interner Meinungsverschiedenheiten“ Slowenien und Kroatien „voreilig und überstürzt“ anerkannt hätten, womit eine Verhandlungslösung vertan worden sei.
Zu den heutigen NATO-Staaten im Baltikum und Polen sowie zur Ukraine, deren Präsident durch eine der Soros-gesponserten „bunten Revolutionen“ ins Amt kam, die aktuell allesamt besonders harsch Rußland kritisieren, sei noch angemerkt: Litauen, Lettland, Estland und die Ukraine erkannten Kroatien sogar noch vor Dezember 1991 an, waren aber selbst zu dieser Zeit völkerrechtlich noch gar nicht anerkannt. Polen erkannte taggleich mit den damals 12 EG-Staaten am 15. Januar 1992 Kroatien und Slowenien an.
Südossetiens und Abchasiens nicht minder nachvollziehbarer Wunsch nach Anerkennung aufgrund georgischer militärischer Gewaltakte nicht nur aktuell, sondern schon gleich nach der Auflösung der UdSSR Ende 1991, als sich zügig beide für unabhängig erklärten, wird jedoch harsch abgelehnt. Kein Wunder, daß Brzezinski, einst Sicherheitsberater unter Carter und nach wie vor graue Eminenz der US-Geostrategen sowie außenpolitisch wichtigster Berater von Obama, all diese Länder ganz offen als Vasallen der USA bezeichnet.
Die aktuelle Forderung der Einhaltung des Völkerrechts durch Deutschland und den Westen allgemein ist also angesichts der bewußten Politik der Zerstückelung Jugoslawiens leider eine Farce und völlig diskreditiert. Diejenigen europäischen Führungen, die nun behaupten, Rußland würde es mit Füßen treten, haben dazu das wenigste Recht, und sie stellen sich auch noch in entlarvender Weise schützend vor einen mutmaßlichen Massenmörder bzw. Kriegsverbrecher.
Die USA setzen sich ohnehin seit Jahren mit roher Militärgewalt über das Völkerrecht hinweg, wie auch Israel. Für viele Bürger im Westen kommt die aktuelle Rolle Israels in der Georgienkrise gewiß sehr überraschend, deutsche Mainstream-Medien blenden sie auch komplett aus. Folgendes berichtete hingegen Mitte August das amerikanische TIME Magazin: „Präsident Saakaschwili hat angemerkt, daß sowohl sein für Verhandlungen über Südossetien verantwortlicher Minister (Jakobaschwili) als auch sein Verteidigungsminister, David Kezeraschwili, in Israel gelebt hätten, bevor sie ins post-sowjetische Georgien umzogen. Laut der israelischen Tageszeitung Haaretz habe sich der georgische Führer diese Woche darüber begeistert, daß in Tiflis ´Krieg wie auch Frieden in den Händen israelischer Juden liegen´.“