Prozeßbericht von RBK vom 03.06.2022, zuletzt geändert am 06.06.2022
Am Freitag, den 3. Juni 2022, fand vor einer Strafrichterin des Amtsgerichts München die Hauptverhandlung im Strafverfahren gegen einen Wirtschaftsjuristen wegen des Vorwurfs des Titelmißbrauchs bzw. Gebrauchs einer falschen Berufsbezeichnung statt. Er soll sich am 23. Oktober 2020 auf einer Coronamaßnahmen-kritischen Versammlung am Odeonsplatz ohne dies zu sein als Rechtsanwalt ausgegeben haben und eine Weile eine gelbe Weste mit der Beschriftung Anwalt getragen haben.
Er trat mit dem Maximum von drei Verteidigern an – den Rechtsanwälten Stefan Koslowski, Dr. Christian Knoche und Ralf Dalla Fini.
Der Einsatzleiter der Polizei G. wurde heute als letzter Zeuge und einziger zur Belastung einvernommen.
Weitere Zeugen trugen zuvor Entlastendes bei. Der Angeklagte habe die Frage des Einsatzleiters, ob er Rechtsanwalt sei, verneint, und er habe sehr wahrscheinlich sogar erläuternd hinzugefügt, er sei Wirtschaftsjurist. Dann habe er unmittelbar darauf auf eine neben ihn stehende Rechtsanwältin gedeutet und zu Einsatzleiter G. gesagt, diese sei aber eine Anwältin.
Auf zwei kurzen Videos, die die Beteiligten auf dem Notebook der Richterin ansahen, war in der Tat zu sehen, wie der Angeklagte auf die neben ihm stehende Rechtsanwältin deutet. Man hörte, daß der Einsatzleiter die Frage ungewöhnlicherweise gleich drei Mal hintereinander stellte. Ansonsten war die Tonqualität schlecht, technisch unaufbereitet und schwer verständlich, was die Verteidigung rügte.
Die vielen Zuschauer des Prozesses sahen von den Videosequenzen allerdings nichts (das Display war zu klein und wurde ohnehin von den davor sich positioniert habenden Beteiligten komplett verdeckt), insoweit war die Öffentlichkeit bei der Einführung dieses Beweismittels in das Verfahren wohl ausgeschlossen. Die drei Verteidiger ließen diesen Sachverhalt folglich ins Protokoll aufnehmen.
Die bei der Versammlung neben dem späteren Angeklagten stehende Rechtsanwältin war auch als Zeugin geladen und war sich sicher, dass der Angeklagte zu G. auf sie deutend gesagt habe, sie sei Rechtsanwältin, nachdem er zuvor die Frage von G. verneint habe, ob er Rechtsanwalt sei. Dessen sei sie sich sehr sicher. Zu 90 Prozent sei sie sich darüber hinaus sicher, dass der Angeklagte dazwischen noch G. aufklärend angemerkt habe, er sei Wirtschaftsjurist.
Nach mehreren Zeugenaussagen, auch der der ebenfalls geladenen Versammlungsleiterin, habe die Polizei sich aggressiv und provokativ verhalten, vor allem bzgl. dem späteren Angeklagten, der rund ein halbes Dutzend Mal zur Personalienkontrolle weggeführt wurde. Teilweise sogar noch, nachdem er einmal extra zur Gefangenensammelstelle verbracht wurde, wo er laut einer Zeugin wohl 30-45 Minuten verbleiben musste.
Zusammen mit dem Videoblogger des YouTube-Kanals „Augsburg unmaskiert“, Marc-Andre S., der die strittige Szene am 23.10.2020 ebenso gefilmt und als Livestream veröffentlicht hatte wie Stefan B., haben die Beteiligten zwei kurze Videosequenzen angesehen. Der Vlogger als Zeuge meinte, beide vorgespielten Videosequenzen stammten nicht von ihm, auf einer sei er aber sogar selbst von hinten zu sehen, wie er die strittige Szene der Befragung des Angeklagten durch G. ebenfalls gerade filmt. Doch aus unerfindlichen Gründen bzw. wegen des Vorwands unrichtiger gesundheitlicher Aussagen über Corona wurde später nach drei sog. Strikes von YouTube sein Kanal samt aller Inhalte bis dahin gelöscht, daher habe er seine damalige Aufnahme von der Versammlung am Odeonsplatz nicht mehr. Man müsse ggf. bei YouTube beantragen, sein Video zu Gerichtszwecken wieder aufrufbar zu machen, wenn man es komplett sehen wolle.
Gleiches gelte für den damaligen weiteren Livestream des anderen damals anwesenden Vloggers und Direkt-Streamers Stefan B., dessen Video von der Versammlung inzwischen ebenfalls von YouTube gelöscht worden sei.
Der damalige Livestreamer sagte als Zeuge auch, er sei sicher, daß der Angeklagte die Frage des G. verneinte und auf die neben ihm stehende Rechtsanwältin zeigte und sagte, diese sei eine solche.
Die Verteidigung rügte, daß die Ermittlungsbehörde offenbar das Video des Zeugen nicht gesichert habe, bevor es von YouTube gelöscht wurde. Mindestens einem der drei Verteidiger seien die beiden ausschnitthaften Videos, deren Ursprung bzw. Ersteller überdies ungeklärt blieb, gar nicht vorab zugesandt worden.
Der Einsatzleiter habe besonders scharf gegen maskenlose Versammlungsteilnehmer vorgehen lassen, u.a. gegen Karl Hilz und den späteren Angeklagten. Die Versammlung stand dabei pikanterweise unter dem Motto „Schüler gegen Maskenpflicht“. Eine Rollstuhlfahrerin, die sich gelegentlich Sauerstoff zuführen mußte, wurde trotz Maskenbefreiungsattests laut einer Zeugin bedrängt, sie solle auf der Versammlung dennoch gefälligst auflagengemäß eine Maske tragen.
W. habe wegen solcher Vorkommnisse die Teilnehmer dazu aufgefordert, Strafanzeige gegen den Einsatzleiter zu erstatten, was diesen nach eigener Aussage jedoch weder ärgerte noch seine Professionalität beeinträchtigt habe, was die Verteidigung mit süffisanten Nachfragen quittierte.
Ein anderer Zeuge sagte, auf keiner von mehreren gemeinsam mit dem Angeklagten besuchten Versammlungen habe W. jemals behauptet, Rechtsanwalt zu sein. Hätte dort gelegentlich jemand anderes dies über den Angeklagten behauptet, habe jener dies stets umgehend und konsequent richtiggestellt. Im privaten Umfeld sei dem Zeugen dies früher selbst auch einmal passiert, und der Angeklagte habe ihn dann brüsk aufgeklärt, daß er zwar Wirtschaftsjurist mit erstem Staatsexamen sei, aber keineswegs Rechtsanwalt.
Die Westen hätten Anwaltsteam als Aufdruck gehabt, und deren Träger hätten die Aufgabe der Mediation zur Vermeidung von Konflikten gehabt, nicht etwa die Vertretung als Rechtsanwalt mitten während der Versammlung.
Der Einsatzleiter sagte als Zeuge außerdem zunächst, daß er vor seinen Fragen an den Angeklagten auf der Versammlung von einem Kollegen der Kripo mitgeteilt bekommen hätte, gegen jenen werde ermittelt, weil er sich als Rechtsanwalt ausgegeben haben soll.
Er wußte später nicht zu sagen, warum er in seinen Einsatzbericht zu den Geschehnissen WÄHREND der Versammlung aufgenommen hatte, daß er NACH der Versammlung von Karl Hilz durch einen vorgeblichen Vergleich mit Heinrich Himmler beleidigt worden sei, weswegen er Strafantrag gegen Hilz gestellt habe.
Der Angeklagte habe ein gelbe Weste getragen, auf deren Rückseite „Rechtsanwalt / Lawyer – Querdenken 711“ gestanden habe. Er habe, weil der Angeklagte ihn bei einer Amtshandlung gegen einen anderen Versammlungsteilnehmer gestört hätte, gefragt, ob er Rechtsanwalt sei. Das habe jener per Kopfnicken bestätigt (also selbst nach diesem Belastungszeugen nicht mit einer ausgesprochenen Antwort „Ja!“). Daraufhin habe er den Angeklagten nochmals gefragt, und jener habe sich kommentarlos abgewandt und sei gegangen. Später habe er die Weste nicht mehr getragen.
Es seien auf der Versammlung mehrere (echte) Rechtsanwälte anwesend gewesen, aber ob neben dem Angeklagten in der fraglichen Situation eine solche gestanden habe, wisse er nicht. Auch daran, dass der Angeklagte bei seiner Antwort gegenüber G. auf eine neben dem Angeklagten stehende Teilnehmerin (Rechtsanwältin und geladene Zeugin) zeigte, sei ihm nicht erinnerlich. Dabei blieb er auch, nachdem auch ihm die beiden kurzen Videosequenzen mehrfach vorgespielt wurden, welche diese Armgeste des Angeklagten eindeutig zeigten. Ebenso wenig sei ihm erinnerlich, daß der Angeklagte laut anderen Zeugen in etwa gesagt haben soll „Nein, ich bin Wirtschaftsjurist – aber sie hier ist Rechtsanwältin“, so Einsatzleiter G. in seiner letztlich unvereidigt gebliebenen Zeugenaussage.
Die Verteidigung verlangte bezogen auf mehrere Antworten auf relevant erscheinende Fragen an den Zeugen G. zwar, daß der Einsatzleiter vereidigt werden solle, was die Richterin jedoch ablehnte.
Auf intensive Zeugenbefragung des G., warum er denn gleich (mind.) drei Mal hintereinander den Angeklagten gefragt habe, ob dieser Rechtsanwalt sei, meinte dieser, er wisse es nicht, er habe halt einfach gefragt. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und die Strafrichterin Krombholz hatten auffälligerweise kein Problem mit dieser objektiv fehlenden Erklärung für das höchst erklärungsbedürftige dreifache Stellen der Frage. Die Richterin spekulierte, G. faktisch schützend, es sei laut gewesen, das könne dies begründen.
Als die Verteidiger einen Nichtverwertungsantrag der Zeugenaussage von G. und der Videos beantragen wollten, weil G. erst den späteren Angeklagten hätte belehren müssen und das unbestrittene Unterbleiben jeglicher Belehrung (später auch in der Gesa) ein Beweisverwertungsverbot zur Folge habe, trat die Richterin wieder in die Zeugeneinvernahme des Einsatzleiters ein. Staatsanwalt und Strafrichterin wirkten hier auf Prozeßbeobachter gestreßt und quasi mit dem Rücken zur Wand stehend, und fragten dann den Einsatzleiter, ob er evtl. von dem Kripobeamten gehört habe, gegen den Angeklagten sei man wegen einer anderen, erheblich früheren Angelegenheit am Ermitteln. Obwohl G. zuvor klar die Zeugenaussage getätigt hatte, er sei zwischen 10 Uhr und 12 Uhr von jenem anderen Beamten darüber informiert worden, man ermittle gegen den Angeklagten, da er sich wohl als Rechtsanwalt ausgegeben haben soll, wandelte er nun seine Aussage (die laut ihm evtl. auch von einem anderen Kripobeamten als dem Genannten gestammt haben könnte) dahingehend ab, er habe das so verstanden, wegen irgendetwas, was zudem deutlich eher als die eigentliche Versammlung passiert sei, erwäge man Ermittlungen.
Dies nutzte dann die Richterin, um den Verwertungsverbotsantrag der Verteidigung abzuschmettern. Der Einsatzleiter habe nicht mit Bestimmtheit gewußt, dass gegen den Angeklagten wegen Titelmißbrauchs ermittelt werde, daher habe er nicht nach Strafprozeßordnung jenen belehren müssen, als er ihn drei Mal fragte, ob er Rechtsanwalt sei.
Die Verteidiger erwogen daraufhin, einen Befangenheitsantrag, stellten dies aber nach einer Pause zurück und beantragten eine Unterbrechung zur Ausformulierung von mind. drei Beweisanträgen.
Im ersten wurde beantragt, die ebenfalls am 23.10.2020 anwesenden Rechtsanwalt Harald Vogler und einen jungen Erwachsenen zu laden, die beide bezeugen könnten, dass der Angeklagte keineswegs zum Einsatzleiter gesagt hätte, er sei Rechtsanwalt. Der junge Erwachsene war dabei auf seinen Antrag hin wegen aktueller Abiturvorbereitungen vom Gericht wieder abgeladen worden.
Die Strafrichterin lehnte dies ab, da bereits durch die gehörten Zeugen der Sachverhalt ausreichend geklärt sei.
Mit dem zweiten Beweisantrag sollte der Kripobeamte geladen werden, der den Einsatzleiter darüber informiert hatte, daß und weswegen gegen den Angeklagten ermittelt werde, bevor G. jenen drei Mal fragte, ob er Rechtsanwalt sei.
Auch dies lehnte die Strafrichterin ab. Der Zeuge G. habe klargemacht, daß er als Einsatzleiter nicht wußte, weswegen gegen den Angeklagten ermittelt werde.
Doch jener Kripobeamte könnte – und zwar nicht gerade unwahrscheinlich – aussagen, daß er sehr wohl den konkreten damaligen Ermittlungsgrund § 132a StBG (Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen) genannt hatte. Dann wäre ein Freispruch wegen Beweisverwertungsverbots aufgrund fehlender Belehrung durch den Einsatzleiter unumgänglich. Zudem hatte die Verteidigung den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft aufgefordert zu prüfen, ob gegen den Einsatzleiter nicht wegen der durch die anderen Zeugen geschilderten Vorkommnisse strafrechtlich ermittelt werden müsse.
Mit der objektiv kaum nachvollziehbaren Ablehnungsbegründung der Richterin auch dieses zweiten Beweisantrags kündigte die Verteidigung nun einem unaufschiebbaren Befangenheitsantrag an. Man beantrage eine Unterbrechung von 2 Stunden, da hier einiges zusammengekommen sei. Es war bereits kurz vor 18 Uhr, die Sitzung hatte kurz nach 13 Uhr begonnen. Die Richterin meinte, man könne vertagen, dann hätte der Verteidiger sogar Tage Zeit dafür. Doch wegen Terminschwierigkeiten und dann anstehender Urlaube von Richterin und Verteidigern ließ sich kein Termin für eine fristgerechte Verfahrensfortsetzung finden. Auch ein Schiebetermin, bei dem lediglich zur Wahrung der maximalen 3-Wochen-Unterbrechungsfrist, die nicht überschritten werden darf, der Auszug aus dem Bundeszentralregister verlesen werden würde, wurde von der Verteidigung letztlich abgelehnt, denn jeder der Verteidiger müßte etliche Hundert Kilometer nur deswegen anreisen, und eine etwaige Vertretung durch bisher Verfahrensfremde erscheine ihnen aufgrund gemachter Erfahrungen schlicht als zu riskant und nicht empfehlenswert. Somit blieb mit Einverständnis der Staatsanwaltschaft gegen 18 Uhr nur eine (vorläufig gemeinte) Verfahrensaussetzung.
Wenn der angekündigte Befangenheitsantrag gestellt und entschieden worden sei, werde das Amtsgericht neu terminieren. Wann das sein wird, steht also noch nicht fest. Kommt es so, müßte jedenfalls alles komplett von vorne beginnen.