Von Pepe Escobar am 28. September 2022 (im Original hier, übersetzt von RBK)
Die Sabotage der Nord Stream (NS)- und Nord Stream 2 (NS2)-Pipelines in der Ostsee hat den „Katastrophenkapitalismus“ auf eine ganz neue, verheerende Stufe gehoben.
Diese Episode eines hybriden industriellen/kommerziellen Krieges in Form eines Terrorangriffs auf die Energieinfrastruktur in internationalen Gewässern signalisiert den absoluten Zusammenbruch des internationalen Rechts, das von einer „regelbasierten“ Ordnung nach dem Motto „Ihr seid entweder für uns oder gegen uns“ überlagert wird.
Der Angriff auf die beiden Pipelines bestand aus mehreren Sprengladungen, die in verschiedenen Abschnitten in der Nähe der dänischen Insel Bornholm, aber in internationalen Gewässern gezündet wurden.
Es handelte sich um eine ausgeklügelte Operation, die heimlich in der geringen Tiefe der dänischen Meerenge durchgeführt wurde. Das schließt U-Boote im Prinzip aus (Schiffe, die in die Ostsee einfahren, dürfen nur einen Tiefgang von 15 Metern haben). Mögliche „unsichtbare“ Schiffe könnten sich nur mit Erlaubnis Kopenhagens herumtreiben, da die Gewässer um Bornholm mit Sensoren vollgestopft sind, die die Angst vor dem Eindringen russischer U-Boote widerspiegeln.
Schwedische Seismologen registrierten am Montag zwei Unterwasserexplosionen, von denen eine auf 100 kg TNT geschätzt wurde. Es könnten jedoch bis zu 700 kg verwendet worden sein, um drei verschiedene Pipelineknotenpunkte zu sprengen. Eine solche Menge hätte unmöglich mit Unterwasserdrohnen, die derzeit in den Nachbarländern zur Verfügung stehen, in nur einer Fahrt transportiert werden können.
Der Druck auf die Pipelines fiel exponentiell ab. Die Röhren sind nun mit Meerwasser gefüllt.
Die Röhren sowohl von NS als auch von NS2 können natürlich repariert werden, aber kaum vor der Ankunft von General Winter. Es stellt sich die Frage, ob Gazprom – das sich bereits auf mehrere große eurasische Kunden konzentriert – sich die Mühe machen würde, insbesondere wenn man bedenkt, dass die Gazprom-Schiffe einem möglichen NATO-Marineangriff in der Ostsee ausgesetzt sein könnten.
Deutsche Beamte munkeln bereits, dass NS und NS2 „möglicherweise“ für immer außer Betrieb sein könnten. Die EU-Wirtschaft und die EU-Bürger sind dringend auf diese Gaslieferungen angewiesen. Doch die EUrokratie in Brüssel – die über die Nationalstaaten herrscht – würde dem nicht folgen, weil sie selbst vom Imperium des Chaos, der Lügen und der Plünderung diktiert worden ist. Man kann den Standpunkt vertreten, dass diese Euro-Oligarchie eines Tages wegen Hochverrats vor Gericht gestellt werden sollte.
So wie es aussieht, ist eine strategische Unumkehrbarkeit bereits offensichtlich; die Bevölkerung mehrerer EU-Länder wird einen enormen Preis zahlen und unter den ernsten Folgen dieses Angriffs leiden – kurz-, mittel- und langfristig.
Cui bono?
Die schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson gab zu, dass es sich um „Sabotage“ handele. Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen räumte ein, dass es „kein Unfall“ war. Berlin stimmt mit den Skandinaviern überein.
Vergleichen Sie das mit dem ehemaligen polnischen Verteidigungsminister (2005-2007) Radek Sikorski, einem Russophobiker, der mit der fanatischen US-„Analystin“ Anne Applebaum verheiratet ist, und der fröhlich „Danke, USA“ getwittert hat.
Es wird immer merkwürdiger, wenn man weiß, dass zeitgleich mit der Sabotage die Ostseepipeline von Norwegen nach Polen teilweise geöffnet wurde, ein „neuer Gasversorgungskorridor“, der „den dänischen und polnischen Markt“ bedient: eigentlich eine Kleinigkeit, wenn man bedenkt, dass ihre Sponsoren schon vor Monaten Probleme hatten, Gas zu finden, und jetzt wird es noch schwieriger werden, mit viel höheren Kosten.
NS2 wurde bereits während der gesamten Bauphase angegriffen – und zwar ganz offen. Bereits im Februar versuchten polnische Schiffe aktiv, das Verlegeschiff Fortuna an der Fertigstellung von NS2 zu hindern. Die Rohre wurden südlich von – Sie ahnen es – Bornholm verlegt.
Die NATO war ihrerseits sehr aktiv im Bereich der Unterwasserdrohnen. Die Amerikaner haben Zugang zu norwegischen Langstrecken-Unterwasserdrohnen, die mit weiteren Konstruktionen modifiziert werden können. Alternativ könnten auch professionelle Marinetaucher für die Sabotage eingesetzt worden sein – auch wenn die Gezeitenströmungen um Bornholm eine ernste Angelegenheit sind.
Das große Bild zeigt den kollektiven Westen in absoluter Panik, mit atlantischen „Eliten“, die zu allem bereit sind – ungeheuerlichen Lügen, Attentaten, Terrorismus, Sabotage, Finanzkrieg, Unterstützung von Neonazis – um ihren Abstieg in einen geopolitischen und geoökonomischen Abgrund zu verhindern.
Die Abschaltung von NS und NS2 bedeutet die endgültige Beendigung jeder Möglichkeit eines deutsch-russischen Abkommens über Gaslieferungen, mit dem zusätzlichen Vorteil, dass Deutschland auf den niedrigen Status eines absoluten US-Vasallen zurückgestuft wird.
Damit sind wir bei der entscheidenden Frage angelangt, welcher westliche Geheimdienstapparat die Sabotage geplant hat. Die Hauptkandidaten sind natürlich die CIA und der MI6 – wobei Polen als Sündenbock aufgestellt wurde und Dänemark eine sehr zweifelhafte Rolle spielte: Es ist unmöglich, dass Kopenhagen nicht zumindest auf Geheimdienstebene „gebrieft“ wurde.
Vorausschauend wie immer, stellten die Russen bereits im April 2021 Fragen zur militärischen Sicherheit von Nord Stream.
Der entscheidende Punkt ist, dass wir möglicherweise mit dem Fall eines EU/NATO-Mitglieds konfrontiert sind, das an einem Sabotageakt gegen die wichtigste EU/NATO-Wirtschaft beteiligt ist. Das ist ein casus belli. Abgesehen von der erschreckenden Mittelmäßigkeit und Feigheit der derzeitigen Regierung in Berlin ist es klar, dass der BND – der deutsche Geheimdienst – sowie die deutsche Marine und informierte Industrielle früher oder später Nägel mit Köpfen machen werden.
Dies war keineswegs ein isolierter Angriff. Am 22. September versuchten Kiewer Saboteure einen Anschlag auf Turkish Stream. Am Tag zuvor wurden auf der Krim Marinedrohnen mit englischsprachigen Kennungen gefunden, die im Verdacht standen, Teil des Komplotts zu sein. Hinzu kommen US-Hubschrauber, die vor Wochen die Knotenpunkte der bevorstehenden Sabotage überflogen, ein britisches „Forschungsschiff“, das seit Mitte September in dänischen Gewässern verweilt, und ein Tweet der NATO über die Erprobung „neuer unbemannter Systeme auf See“ just am Tage des Sabotageakts.
Zeig‘ mir das (Gas-)Geld!
Der dänische Verteidigungsminister traf am Mittwoch dringend mit dem NATO-Generalsekretär zusammen. Schließlich ereigneten sich die Explosionen ganz in der Nähe der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) Dänemarks. Das kann man bestenfalls als krudes Kasperletheater bezeichnen; genau am selben Tag hat die Europäische Kommission (EK), de facto das politische Büro der NATO, ihre unverkennbare Obsession vorangetrieben: weitere Sanktionen gegen Russland, einschließlich der unbestreitbar zum Scheitern verurteilten Deckelung der Ölpreise.
Unterdessen werden die Energieriesen der EU durch die Sabotage große Verluste erleiden.
Auf der Liste stehen die deutschen Unternehmen Wintershall Dea AG und PEG/E.ON, die niederländische N.V. Nederlandse Gasunie und die französische ENGIE. Dann gibt es noch diejenigen, die NS2 finanziert haben: wieder Wintershall Dea sowie Uniper, die österreichische OMV, wieder ENGIE und die britisch-niederländische Shell. Wintershall Dea und ENGIE sind sowohl Miteigentümer als auch Gläubiger. Ihre wütenden Aktionäre werden ernsthafte Antworten von einer ernsthaften Untersuchung erwarten.
Und es kommt noch schlimmer: An der Front des Pipeline-Terrors gibt es keine Hindernisse mehr. Russland wird nicht nur wegen Turk Stream, sondern auch wegen Power of Siberia in höchster Alarmbereitschaft sein. Das Gleiche gilt für die Chinesen und ihr Labyrinth von Pipelines, die in Xinjiang ankommen.
Unabhängig von der Methodik und den Akteuren, die in die Sache verwickelt waren, ist dies die Rache für die unvermeidliche kollektive Niederlage des Westens in der Ukraine – und zwar im Voraus. Und eine unverblümte Warnung an den globalen Süden, dass sie es wieder tun werden. Doch Aktion erzeugt immer Reaktion: Von nun an könnten auch mit US-amerikanischen und britischen Pipelines in internationalen Gewässern „komische Dinge“ passieren.
Die EU-Oligarchie befindet sich blitzschnell in einem fortgeschrittenen Auflösungsprozess. Das Zeitfenster, in dem sie zumindest versuchen konnte, eine Rolle als strategisch autonomer geopolitischer Akteur zu spielen, ist nun geschlossen.
Die Eurokraten befinden sich nun in einer ernsten Zwickmühle. Sobald klar ist, wer die Täter der Sabotage in der Ostsee sind, und sobald sie die lebensverändernden sozioökonomischen Folgen für die Bürger der gesamten EU verstehen, wird das Theater aufhören müssen. Dazu gehört auch die bereits laufende, äußerst lächerliche Unterstellung, Russland habe seine eigene Pipeline in die Luft gesprengt, obwohl Gazprom die Ventile einfach hätte abdrehen können.
Und es kommt noch schlimmer: Gazprom droht, das ukrainische Energieunternehmen Naftofgaz wegen unbezahlter Rechnungen zu verklagen. Das würde dazu führen, dass kein russisches Gas mehr durch die Ukraine in die EU geleitet wird.
Als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, ist Deutschland vertraglich verpflichtet, bis 2030 jährlich mindestens 40 Milliarden Kubikmeter russisches Gas abzunehmen.
Einfach nein sagen? Das können sie nicht: Gazprom hat einen Rechtsanspruch darauf, auch ohne Gaslieferungen bezahlt zu werden. Das ist der Sinn eines langfristigen Vertrags. Und das passiert jetzt schon: Wegen der Sanktionen bekommt Berlin nicht das ganze Gas, das es braucht, muss aber trotzdem zahlen.
Alle Teufel sind schon da
Jetzt wird schmerzlich deutlich, dass die imperialen Samthandschuhe ausgezogen sind, wenn es um die Vasallen geht. Unabhängigkeit der EU: verboten. Zusammenarbeit mit China: verboten. Unabhängige Handelsverbindungen mit Asien: verboten. Der einzige Platz für die EU ist die wirtschaftliche Unterwerfung unter die USA: eine geschmacklose Neuauflage der Jahre 1945-1955. Mit einer perversen neoliberalen Wendung: Wir werden eure industriellen Kapazitäten besitzen, und ihr werdet nichts haben.
Die Sabotage von NS und NS2 ist Teil des imperialen feuchten Traums, die eurasische Landmasse in tausend Teile zu zersplittern, um eine transeurasische Konsolidierung zwischen Deutschland (stellvertretend für die EU), Russland und China zu verhindern: ein BIP von 50 Billionen Dollar auf der Grundlage der Kaufkraftparität (KKP) im Vergleich zu den 20 Billionen Dollar der USA.
Wir müssen auf Mackinder zurückkommen: Die Kontrolle über die eurasische Landmasse bedeutet die Kontrolle über die Welt. Die amerikanischen Eliten und ihre trojanischen Pferde in Europa werden alles tun, um ihre Kontrolle nicht aufzugeben.
Die „amerikanischen Eliten“ umfassen in diesem Zusammenhang die geistesgestörte, von den Strauss’schen Neokonservativen verseuchte „Geheimdienstgemeinschaft“ und die großen Energie-, Pharma- und Finanzkonzerne, die sie bezahlen und die nicht nur vom Ansatz des Ewigen Krieges des Tiefen Staates profitieren, sondern auch mit dem in Davos ausgeheckten „Great Reset“ ein Vermögen machen wollen.
Die wilden Zwanziger begannen mit einem Mord – an General Soleimani. Die Sprengung von Pipelines ist Teil der Fortsetzung. Bis zum Jahr 2030 wird es einen Highway zur Hölle geben. Doch um es mit Shakespeare zu sagen: Die Hölle ist definitiv leer, und alle (atlantischen) Teufel sind schon da.