Von Pepe Escobar (im Original hier, übers. v. RBK)
Mit seinem unnachahmlichen Gespür für wirtschaftliche Analysen mit historischem Tiefgang präsentiert Professor Michael Hudson in seinem jüngsten Aufsatz, der ursprünglich für ein deutsches Publikum geschrieben wurde, eine verblüffende Parallele zwischen den Kreuzzügen und der aktuellen „regelbasierten internationalen Ordnung“, die vom Hegemon auferlegt wurde.
Professor Hudson beschreibt detailliert, wie es dem Papsttum in Rom gelang, die unipolare Kontrolle über weltliche Reiche zu erlangen (klingelt es?), als es um den päpstlichen Vorrang vor Monarchen ging, vor allem vor den deutschen Kaisern des Heiligen Römischen Reiches. Wie wir wissen, war das Reich nicht wirklich heilig, nicht deutsch (vielleicht ein wenig römisch) und nicht einmal ein Reich.
Eine Klausel in den päpstlichen Diktaten gab dem Papst die Befugnis, jeden zu exkommunizieren, der „nicht im Frieden mit der römischen Kirche“ war. Hudson stellt scharfsinnig fest, dass die US-Sanktionen das moderne Äquivalent zur Exkommunikation sind.
In dem ganzen Prozess gibt es wohl die zwei besonders wichtige Daten.
Das erste wäre das Dritte Ökumenische Konzil von 435: Zu diesem Zeitpunkt wurde nur Rom die universelle Autorität zugesprochen. Alexandria und Antiochia zum Beispiel waren auf eine regionale Autorität innerhalb des Römischen Reiches beschränkt.
Das andere wichtige Datum ist 1054, als sich Rom und Konstantinopel endgültig trennten. Das heißt, die römisch-katholische Kirche spaltete sich von der Orthodoxie ab, was uns zu Russland und Moskau als dem dritten Rom führt – und zu der jahrhundertealten Feindseligkeit des „Westens“ gegen Russland.
Ein Zustand des Kriegsrechts
Professor Hudson geht dann auf die Reise der Delegation von „Leberwurst“-Kanzler Scholz nach China in dieser Woche ein, um „zu fordern, dass das Land seinen öffentlichen Sektor abbaut und die Subventionierung seiner Wirtschaft einstellt, andernfalls werden Deutschland und Europa Sanktionen gegen den Handel mit China verhängen.“
Tatsächlich handelt es sich dabei um kindisches Wunschdenken, das die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik in einem in der Financial Times (der im japanischen Besitz befindlichen Plattform in der Londoner City) veröffentlichten Artikel zum Ausdruck bringt. Der Rat ist, wie von Hudson richtig beschrieben, „der neoliberale ‚libertäre‘ Arm der NATO, der die Deindustrialisierung Deutschlands und die Abhängigkeit von den USA fordert“.
Die FT druckt also vorhersehbar feuchte Träume der NATO.
Der Kontext ist wichtig. Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in einer Grundsatzrede im Schloss Bellevue fast schon zugegeben, dass Berlin pleite ist: „Es beginnt für Deutschland eine Epoche im Gegenwind. – Es kommen härtere Jahre, raue Jahre auf uns zu. – Wir erfahren die tiefste Krise, die unser wiedervereintes Deutschland erlebt.“
Doch wieder einmal herrscht Schizophrenie vor, denn Steinmeier kündigte nach einem lächerlichen Auftritt in Kiew, bei dem er sich als ahnungsloser Schauspieler in einem Bunker versteckt hielt, eine zusätzliche Hilfe an: zwei weitere MARS-Mehrfachraketenwerfer und vier Panzerhaubitzen-2000, die an die Ukrainer geliefert werden sollen.
Auch wenn die „Welt“-Wirtschaft – in Wirklichkeit die EU – so angeschlagen ist, dass die Mitgliedstaaten Kiew nicht mehr helfen können, ohne ihrer eigenen Bevölkerung zu schaden, und die EU am Rande einer katastrophalen Energiekrise steht, hat der Kampf für „unsere Werte“ in Land 404 Vorrang vor allem anderen.
Der Kontext des großen Ganzen ist ebenfalls entscheidend. Andrea Zhok, Professor für ethische Philosophie an der Universität Mailand, hat Giorgio Agambens Konzept des „Ausnahmezustands“ zu neuen Höhen geführt.
Zhok schlägt vor, dass der zombifizierte kollektive Westen nun vollständig einem „Kriegszustand“ unterworfen ist, in dem das Ethos des „Ewigen Krieges“ für die rar gewordenen globalen Eliten die oberste Priorität darstellt.
Jede andere Variable – vom Transhumanismus über die Entvölkerung bis hin zur Abschaffung der Kultur – wird dem Kriegszustand untergeordnet und ist im Grunde genommen unwichtig. Das Einzige, was zählt, ist die Ausübung der absoluten, rohen Kontrolle.
Berlin-Moskau-Peking
Solide Quellen aus der deutschen Wirtschaft widersprechen der „Botschaft“ der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik zur China-Reise völlig.
Demnach ist die Scholz-Karawane nach Peking gereist, um im Wesentlichen die vorbereitenden Schritte für die Ausarbeitung eines Friedensabkommens mit Russland festzulegen, mit China als privilegiertem Boten.
Das ist – im wahrsten Sinne des Wortes – geopolitisch und geoökonomisch so brisant wie nur möglich. Wie ich in einer meiner früheren Kolumnen dargelegt habe, unterhielten Berlin und Moskau einen geheimen Kommunikationshintergrundkanal – über Geschäftspartner – bis zu dem Zeitpunkt, als die üblichen Verdächtigen in ihrer Verzweiflung beschlossen, die Nord Stream zu sprengen.
Stichwort: die berühmt-berüchtigte SMS von Liz Truss‘ iPhone an Little Tony Blinken, eine Minute nach den Explosionen: „Es ist vollbracht.“
Doch damit nicht genug: Die Scholz-Karawane versucht möglicherweise, einen langen und komplizierten Prozess in Gang zu setzen, um die USA schließlich durch China als wichtigsten Verbündeten zu ersetzen. Man sollte nie vergessen, dass Deutschland (das Ruhrgebiet) der wichtigste BRI-Handels-/Verbindungspunkt in der EU ist.
Einer der Quellen zufolge „können sich Deutschland, China und Russland gemeinsam verbünden und die USA aus Europa vertreiben, wenn diese Bemühungen erfolgreich sind“.
Eine andere Quelle setzte dem Ganzen noch die Krone auf: „Olaf Scholz wird auf dieser Reise von deutschen Industriellen begleitet, die Deutschland tatsächlich kontrollieren und nicht tatenlos zusehen, wie sie zerstört werden.“
Moskau weiß sehr wohl, was das imperiale Ziel ist, wenn es darum geht, die EU auf die Rolle eines völlig beherrschten – und deindustrialisierten – Vasallen zu reduzieren, der keinerlei Souveränität ausübt. Die Rückkanäle liegen schließlich nicht in Fetzen auf dem Grund der Ostsee. Außerdem hat China nicht angedeutet, dass sein massiver Handel mit Deutschland und der EU vor dem Aus steht.
Scholz selbst betonte einen Tag vor dem Eintreffen seiner Karawane in Peking gegenüber chinesischen Medien, dass Deutschland nicht die Absicht habe, sich von China abzukoppeln, und dass es nichts gebe, was „die Aufrufe einiger, China zu isolieren“, rechtfertige.
Parallel dazu sind sich Xi Jinping und das neue Politbüro der immer wieder bekräftigten Position des Kremls sehr wohl bewusst: Wir sind immer offen für Verhandlungen, solange Washington sich endlich entschließt, über das Ende der unbegrenzten, von Russophobie durchtränkten NATO-Erweiterung zu sprechen.
Zu verhandeln bedeutet also, dass das Imperium das Dokument, das es von Moskau am 1. Dezember 2021 erhalten hat und in dem es um die „Unteilbarkeit der Sicherheit“ geht, auf der gepunkteten Linie unterschreibt. Ansonsten gibt es nichts zu verhandeln.
Und wenn der Pentagon-Lobbyist Lloyd „Raytheon“ Austin den Ukrainern inoffiziell rät, auf Cherson vorzurücken, wird noch deutlicher, dass es nichts zu verhandeln gibt.
Könnte das alles also der Grundstein für den geopolitischen/geoökonomischen Korridor Berlin-Moskau-Peking durch Eurasien sein? Das würde bedeuten: Bye-bye Empire! Aber noch einmal: Es ist erst vorbei, wenn die dicke Dame in die Götterdämmerung geht. [zu Deutsch etwa: Ein Fußballspiel ist nie vor dem Abpfiff zu Ende; rbk]