Von David Sant für den Saker-Blog am 22.02.2023 (im Original hier, übers. v. RBK)
Am Dienstag, den 21. Februar, hielt Präsident Putin eine Rede, von der erwartet wurde, dass sie sehr bedeutsam sein würde. Nach der Rede sagten die meisten Experten jedoch, dass er nichts gesagt habe, was wir nicht schon wüssten. Die meisten von ihnen konzentrierten sich auf seine Ankündigung des Rückzugs aus dem START-II-Vertrag. Er sagte jedoch etwas viel Wichtigeres.
Eine existenzielle Bedrohung
Was Putin sagte, sollte, wenn man es mit den Augen des Völkerrechts betrachtet, für den Westen erschreckend sein.
Wir täten gut daran, uns daran zu erinnern, dass Putin einen Abschluss in Völkerrecht hat. In seiner Rede legte er ein juristisches Plädoyer gegen die NATO vor.
Zuerst listete er nach meiner Zählung 30 verschiedene Vorgehensweisen auf, mit denen die westlichen Nationen Russland angegriffen haben. Dazu gehörten die Erweiterung der NATO bis an Russlands Grenzen, die Unterstützung von Terroristen in Russland, der Wirtschaftskrieg, die terroristische Sabotage der Nord Stream-Pipeline, die Finanzierung des Putsches und des Krieges in der Ukraine, die direkte Unterstützung der Ukraine bei Angriffen auf Ziele in Russland, einschließlich der russischen Atombomber, und die Pläne zur Zerstörung und Zerstückelung Russlands.
Dazwischen stand eine wichtige Aussage.
„Das bedeutet, dass sie planen, uns ein für alle Mal zu erledigen. Mit anderen Worten, sie planen, einen lokalen Konflikt zu einer globalen Konfrontation auszuweiten. So verstehen wir das und wir werden entsprechend reagieren, denn das stellt eine existenzielle Bedrohung für unser Land dar.“
Putins Wortwahl ist äußerst bedeutsam angesichts der russischen Atomdoktrin, die besagt, dass Atomwaffen von Russland „als Antwort auf den Einsatz von nuklearen und anderen Arten von Massenvernichtungswaffen gegen es oder seine Verbündeten und auch im Falle einer Aggression gegen Russland mit dem Einsatz konventioneller Waffen, wenn die Existenz des Staates selbst bedroht ist“, eingesetzt werden könnten.
Unter den 30 Beweispunkten des amerikanischen Krieges gegen Russland listete Putin mehrere Fälle des amerikanischen Einsatzes konventioneller Waffen gegen russisches Territorium durch die Ukraine als kaum verhüllten Stellvertreter auf und erklärte, dass dies eine „existenzielle Bedrohung [für den russischen Staat]“ darstelle.
Was Putin uns soeben mitgeteilt hat, ist, dass der Kreml die Bedingung [Voraussetzungsalternative] Nr. 2 für den Einsatz von Atomwaffen nunmehr als erfüllt ansieht, und zwar bereits heute.
Diese Erklärung wurde von zwei zusammenhängenden Maßnahmen begleitet. Am Tag vor der Rede testete Russland eine Sarmat-II-Interkontinentalrakete. Und am Ende der Rede kündigte Putin an, dass Russland sich sofort aus dem START-II-Vertrag zurückziehen wird, der die Anzahl und Reichweite seiner Atomraketen begrenzt.
Diese drei Erklärungen und Ereignisse zusammen sollten dem kollektiven Westen sagen, dass Russland gerade „Verschwindet von meiner Veranda!“ gesagt und die 45er Magnum gespannt hat.
Das bedeutet nicht, dass Russland morgen früh die USA angreifen wird. Aber wir bewegen uns jetzt definitiv am Rande des Atomkriegs.
Nukleare Offensive und Verteidigung
Putin hat zuvor gesagt, dass niemand einen Atomkrieg gewinnen kann und dass ein solcher Krieg niemals geführt werden sollte. Hinter den Kulissen hat sich Russland jedoch intensiv darauf vorbereitet, einen solchen Krieg, den es zu vermeiden hofft, zu überleben.
Russland hat die Luftverteidigungssysteme S-500 und S-550 entwickelt und in Betrieb genommen, die in erster Linie Interkontinentalraketen (ICBM) im Weltraum abfangen sollen, bevor sie beim Wiedereintritt in die Atmosphäre ihre mehreren Sprengköpfe freisetzen können. Jede S-500-Batterie ist in der Lage, 10 ICBMs im frühen bis mittleren Flugstadium gleichzeitig zu verfolgen und zu zerstören.
Die S-300- und S-400-Batterien, die mit den neuen antiballistischen Raketen 77N6-N und 77N6-N1 bewaffnet sind, sind ebenfalls in der Lage, ICBM-Sprengköpfe abzufangen, und zwar nach dem Wiedereintritt, also in kürzerer Entfernung als die S-500.
Diese Systeme bilden eine Zwiebel von Verteidigungsringen um wichtige russische Städte und Militärstützpunkte. Im Falle eines nuklearen Schlagabtauschs würde die S-500 die ankommenden Interkontinentalraketen angreifen, während sie sich noch im Weltraum in einer Reichweite von 600 Kilometern und außerhalb der Grenzen Russlands befindet; und die S-400- und S-300-Batterien würden jeden heranfliegenden Sprengkopf angreifen, der durchkam. Es liegt auf der Hand, dass es die Chancen für eine erfolgreiche Verteidigung erhöhen würde, wenn möglichst viele feindliche Raketen bereits am Start gehindert werden.
Die S-500 wurde 2021 zum Schutz Moskaus eingesetzt und ging 2022 in die Massenproduktion. Es ist also sehr gut möglich, dass Russland stillschweigend einen umfassenden Raketenabwehrschild installiert hat. Wir haben jedoch nicht genügend Informationen, um zu wissen, ob er gegen Hunderte von ICBMs gleichzeitig vollkommen wirksam sein könnte. Angesichts des maximal möglichen Starts von 640 Interkontinentalraketen durch die NATO wären insgesamt vierundsechzig S-500-Batterien erforderlich, um sie alle abzufangen.
Aufgrund von Raketenreduzierungsverträgen seit 1990 besteht die nukleare Triade der NATO aus etwa 400 Minuteman-III-Interkontinentalraketen, 240 U-Boot-gestützten Trident-II-Interkontinentalraketen sowie einigen hundert B61-Atombomben, die von den sechzig schweren B1- und B2-Bombern der NATO-Luftwaffe getragen werden.
Wenn Russlands ICBM-Verteidigung 90% der 640 ankommenden Raketen ausschalten könnte, könnte es einen nuklearen Schlagabtausch überleben, auf Kosten der Absorption von Treffern durch etwa 50 Sprengköpfe, die durchkamen. Angesichts der kleineren modernen Sprengköpfe in den NATO-Raketenstreitkräften würden diese zwar schrecklichen, aber lokalen Schaden anrichten. Moskau würde wahrscheinlich massive Schäden erleiden, aber der Rest des russischen Territoriums würde verschont bleiben.
Die nuklearen Angriffskräfte der NATO verlassen sich auf alternde Trident II- und Minuteman-III-Interkontinentalraketen. Die meisten dieser Systeme sind über dreißig Jahre alt. Das bedeutet, dass sie wahrscheinlich schon beim Start eine beträchtliche Fehlerquote aufweisen werden. Russlands moderne Luftverteidigung und ECM [Elektronische Gegenmaßnahmen] wurden darauf ausgelegt, diese alten Technologien zu überwinden.
Im Gleichgewicht zu den Bemühungen, die Verteidigung gegen Interkontinentalraketen zu perfektionieren, kündigte Putin an, dass die russischen Atomstreitkräfte zu 91% modernisiert wurden. Das bedeutet, dass die ICBMs, die Russland abfeuern würde, alle manövrierfähige Hyperschallsprengköpfe haben. Die US-Luftabwehr ist derzeit nicht in der Lage, diese abzuwehren.
Der Abstand der amerikanischen Minuteman-Silos wurde so konzipiert, dass die meisten einen Erstschlag überstehen und einen Vergeltungsschlag ausführen könnten. Russische manövrierfähige Hyperschall-Mehrfachwiedereintrittsraketen machen diese Verteidigung jedoch zunichte, wenn die Zieldaten genau sind. Russland müsste bei einem Erstschlag 400 Bodenziele genau treffen, um eine Reaktion zu vereiteln.
Wenn Russland also zuerst zuschlägt, könnte es in der Lage sein, die Mehrheit der auf es gerichteten Raketen zu eliminieren, indem es sie am Boden zerstört. Die 240 U-Boot-abgefeuerten Trident-Raketen wären die Hauptbedrohung, gegen die man sich verteidigen müsste. So könnte ein Erstschlag die Zahl der zu erwartenden Vergeltungsraketen um 62% reduzieren.
Es ist unwahrscheinlich, dass die alternde schwere Bomberflotte der NATO in der Lage sein wird, die russische Luftverteidigung zu durchdringen. Während diese Bomber auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges ständig in der Luft gehalten wurden, ist dies nicht mehr der Fall.
Ein Erstschlag würde es unwahrscheinlich machen, dass die Bomber und Tanker rechtzeitig vom Boden abheben könnten, um effektiv zu reagieren.
Russland hat derzeit ein zeitliches Fenster der Überlegenheit sowohl in der nuklearen Offensive als auch in der Verteidigung, das die NATO schnell zu schließen versucht. Es liegt nicht im Interesse Russlands, der NATO zu erlauben, die technologische Lücke in der Luftverteidigung und im ICBM-Angriff zu schließen.
Die Welt steht jetzt an der Schwelle zu einem Atomkrieg. Russland warnt den Westen immer wieder. Der Westen ignoriert die Warnungen und gibt weiter Gas. Das unbewegliche Objekt trifft auf die nicht zu stoppende Waffengewalt.
Drei wichtige Dinge haben sich seit dem Kalten Krieg geändert, die die Wahrscheinlichkeit eines nuklearen Schlagabtauschs verändert haben.
- Nukleare Proliferation bedeutet, dass MAD (Mutually Assured Destruction = Garantierte gegenseitige Vernichtung) umgangen werden kann, wenn die Identität des ersten Angreifers aus Sicht des angegriffenen Ziels ungewiss ist. Eine Rakete, die aus einer unerwarteten Richtung auftaucht, wurde möglicherweise nicht vom offensichtlichsten Verdächtigen abgefeuert.
- MAD hängt davon ab, dass beide Parteien rationale Akteure sind. Der Westen hörte auf, rational zu sein, als er Nord Stream zerstörte.
- Russland könnte jetzt über einen wirksamen Raketenabwehrschild verfügen, während die NATO dies nicht tut.
Die russische Methode in die Zukunft projiziert
Genau wie im Dezember 2021, als Russland die NATO um Sicherheitsgarantien bat, folgt Russland dem Buchstaben des Gesetzes und des Verfahrens. Sie gaben der NATO die Möglichkeit, zurückzuweichen oder zu verhandeln. Als es zurückgewiesen wurde, intervenierte Russland militärisch in der Ukraine, etwa 70 Tage nach der ursprünglichen Forderung nach Verhandlungen mit der NATO.
Nach der gleichen Methode hat Russland im Jahr 2023 gerade rechtlich argumentiert, dass sich die USA und die NATO im Krieg mit Russland befinden und eine existenzielle Bedrohung für das Fortbestehen Russlands darstellen.
Ich halte es für wahrscheinlich, dass Russlands Verbündeter China in den kommenden Wochen ein Friedensangebot unterbreiten wird, das den Ukraine-Konflikt innerhalb der derzeitigen Kontaktlinien einfriert, d.h. die Ukraine muss Russland verlorene Gebiete abtreten.
Wenn der Westen den angebotenen Frieden ablehnt, was ziemlich wahrscheinlich ist, dann sind alle Bedingungen für einen Atomkrieg gegeben. Alles, was es dann braucht, ist eine neue Provokation der NATO, um einen Erstschlag Russlands auszulösen. Oder schlimmer noch, wenn beide Parteien dies erkennen, haben beide den Anreiz, zuerst zuzuschlagen.
In den nächsten 360 Tagen ist die Gefahr eines nuklearen Konflikts zwischen Russland und der NATO größer als je zuvor. Es bleibt ein Zeitfenster von 60 bis 90 Tagen, um dieses Schicksal zu vermeiden. Beten wir, dass Gott die Herzen der westlichen Führer von der selbstmörderischen Torheit abbringt, die sie begonnen haben.