Am Vormittag des 29. Juni 2023 wurde die Berufungsverhandlung gegen einen Wirtschaftsjuristen vor dem Landgericht München I wegen des Vorwurfs des Verstoßes gegen § 132 a StGB fortgeführt. Es ging „nur noch“ um die Rechtsfrage, ob das Tragen einer gelben Warnweste mit Aufdruck „Rechtsanwalt – Lawyer – Querdenken 711“ auf einer Versammlung auf dem Odeonsplatz in München im Oktober 2020 ein unbefugtes Führen eines Titels bzw. der Berufsbezeichnung Rechtsanwalt gewesen sei.
Zunächst wurde der Rechtsanwalt Ralf Ludwig als Zeuge einvernommen. Er gab an, den Angeklagten bei der zweiten großen Querdenken-Demonstration im Jahre 2020 in Berlin am 29. August kennengelernt zu haben. Man habe nicht sehr viel miteinander gesprochen, genaue Details erinnere er nicht mehr. Der Angeklagte habe sich jedoch ihm gegenüber nie als Rechtsanwalt ausgegeben, auch gegenüber anderen Volljuristen beim Verein Anwälte für Aufklärung habe er das nie gemacht. Dort wusste man, dass der Angeklagte kein Rechtsanwalt sei. Er habe irgendwann später mitbekommen, dass es Ärger wegen dieser Weste gegeben habe. Daher habe man später andere herstellen lassen, mit Aufdruck Anwaltsteam, um etwaigen Problemen mit Polizei und Justiz von vornherein vorzubeugen. Er hätte damals, im Sommer 2020, wohl durchaus seine Einschätzung kundgetan, dass er ein Tragen einer solchen Weste klar für nicht strafbewehrt halte, falls er gefragt worden sein sollte. Er habe zwar mit dem Angeklagten hin und wieder seit dem Kennenlernen Gespräche geführt, aber ob konkret zu dieser Thematik mit dem Westen-Aufdruck dieser ihn etwas gefragt bzw. ob er ihm eine Antwort gegeben hätte, könne er nach der langen Zeit nicht mehr erinnern. Diese älteren Westen von der zweiten Jahreshälfte 2020 sollten in einem vorbeugenden Sinne auf der Versammlung in Berlin an Rechtsanwälte, aber auch an Leute mit Coaching- oder psychologischem Hintergrund und Ordner-Aufgaben verteilt werden, weil damit Deeskalation bei etwa aufkommendem Unmut einzelner Versammlungsteilnehmer in Richtung Polizei verhindert werden sollte.
Die Vorsitzende Richterin ließ dann ein von der Verteidigung als Beweismittel auf USB-Stick eingebrachtes kurzes Video vorführen. Auf knapp zwei Minuten Auszug aus einer „20:IV“-Internetvideosendung von 2021 sah man darin, wie Ludwig einräumt, dass womöglich er, der Rechtsanwalt, – offenbar wegen seiner zuvor getätigten einschätzenden Äußerungen über die etwaigen Folgen bei einem Tragen einer solchen Weste durch Nicht-Rechtsanwälte – schuld daran sei, dass der Angeklagte nun diese Probleme mit den Strafverfolgungsbehörden bekommen habe.
Danach wurde die Beweisaufnahme geschlossen und es kam zu den Plädoyers. Zuvor fragte die Vorsitzende (zum wiederholten Male), ob für die Staatsanwaltschaft eine Verfahrenseinstellung (etwa gegen Geldauflage) in Frage käme, was aber verneint wurde. Verteidiger Koslowski führte dann aus, weder der objektive Tatbestand noch der subjektive Tatbestand des § 132 a Abs. 1 Nr. 2 StGB seien erfüllt. Der Schutzzweck, nämlich zu verhindern, dass Scharlatane oder Betrüger sich als Rechtsanwälte ausgäben, sei durch das Tragen der Weste nicht tangiert. Man müsse auch Abs. 1 Nr. 4 in Verbindung mit Absatz 4 der Norm mit heranziehen. Demnach mache sich insbesondere auch strafbar, wer eine Amtskleidung eines Rechtsanwalts trage, welche dann eingezogen werden könne. Doch die Amtskleidung sei eine schwarze Robe, nicht eine gelbe Warnweste mit welchem Aufdruck auch immer. Solle er als Rechtsanwalt im Falle einer Verurteilung seines Mandanten etwa künftig unbeanstandet in Gerichtssälen mit einer solchen Weste auftreten dürfen? Das werde wohl, zu Recht, nicht der Fall sein.
Bei seinem Mandanten habe aber auch Verbotsirrtum nach § 17 StGB vorgelegen. Denn dieser habe Rechtsanwalt Ralf Ludwig vorab gefragt, ob er eine solche Weste problemlos tragen dürfe, also externe rechtliche Expertise eingeholt, auch wenn es kein Mandant im strengen Sinne bei diesem Rechtsanwalt gegeben hatte, so dass – selbst bei einer einmal angenommenen Strafbarkeit des Westentragens – er diesen Irrtum nicht hätte vermeiden können.
Außerdem sei sein Mandant bereits so schwer wirtschaftlich geschädigt worden, nämlich durch die Umstände und Folgen der Wohnungsdurchsuchung, zu der die Staatsanwaltschaft München I extra ein SEK-Team nach Brandenburg beordert habe, das sämtliche Computer für lange Zeit mitgenommen hatte, welche nach Aussage des Angeklagten bei Rückgabe alle zerstört bzw. unbrauchbar waren, und auf denen sich u.a. umfangreichste Kundendaten befanden, dass ein Schaden von mehreren zehntausend Euro entstanden sei. Vor diesem Hintergrund sei § 60 StGB heranzuziehen, das Absehen von Strafe wegen bereits schwerer Folgen, die den „Täter“ längst nach der „Tat“ trafen, so dass das Verhängen einer Strafe verfehlt wäre.
Der Verteidiger-Kollege Grimm brachte ergänzend noch § 16 StGB, Irrtum über die Tatumstände, an. Sein Mandant habe schließlich weder Briefköpfe unter der Berufsbezeichnung Rechtsanwalt geführt, noch sich als solcher gegenüber Dritten bezeichnet, noch die Amtskleidung Robe getragen. Dass die Weste überdies zwei weitere Begriffe aufwies – Lawyer sowie Querdenken 711 –, stelle insgesamt Tatumstände dar, die der Mandant nicht kennen bzw. korrekt einschätzen konnte, zumal solch ein Vorwurf noch nie bekannt geworden sei oder gar zu einer Verurteilung geführt habe.
Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft führte u.a. aus, der Abgeklagte habe selbst auf seine Nachfrage hin eingeräumt, dass er drei Jahre juristische Ausbildung im Laufe seiner diversen Weiterbildungen erhalten habe. Daher habe er wissen müssen, dass das Führen der Berufsbezeichnung Rechtsanwalt in Form dieser Weste auf einer Versammlung strafbar sei, so dass er sich nicht auf Verbotsirrtum berufen könne. Zudem habe er bewusst nicht eine nicht strafbewehrte Weste mit Aufdruck Anwaltsteam getragen. Der Staatsanwalt forderte eine Erhöhung des Strafmaßes von erstinstanzlich 50 auf 70 Tagessätze, bei Absenkung der Tagessatzhöhe von damals 20 € auf nun – wegen der aktuellen wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten – angemessene 15 €.
Verteidiger Koslowski intervenierte daraufhin und stellte klar, dass es solche Anwaltsteam-Westen erst viel später gegeben hätte, was auch der Zeuge Ludwig bestätigt habe. Zudem sei es bei den juristischen Ausbildungsinhalten seines Mandanten definitiv nicht um Berufsrecht von Rechtsanwälten – und auch nicht um allgemeines Strafrecht – gegangen.
Der Angeklagte führte im letzten Wort u.a. aus, er habe am 29. August 2020 in Berlin Rechtsanwalt Ludwig gefragt, ob er denn diese Weste (die er dann auch einige Wochen später auf dem Odeonsplatz in München trug) tragen dürfe, er fürchte nämlich eher nicht, doch Ludwig habe ihn beruhigt und klargemacht, dass das Tragen der Weste nach seiner rechtsanwaltlichen Überzeugung nicht strafbar sei.
Die Vorsitzende Richterin der 23. Strafkammer des Landgerichts München I, Susanne Hemmerich, verkündete dann nach kurzer Besprechungspause jener dreiköpfigen kleinen Strafkammer (zu der noch zwei Laienrichter gehörten) das Urteil. Beide Berufungen wurden verworfen. Es blieb also beim amtsgerichtlichen Urteil von 50 Tagessätzen zu 20 €, zuzüglich Verfahrenskosten. Sie begründete: § 16 sehe sie gar nicht. Und Verbotsirrtum hätte nur gegriffen, wenn der Zeuge ausgeführt hätte, am 29.08.2020 oder kurz darauf dem Angeklagten gegenüber eindeutig mitgeteilt zu haben, das Tragen dieser nun inkriminierten Weste sei straffrei. Das habe der Zeuge aber gerade nicht ausgesagt. Zudem habe der Angeklagte bewusst nicht zur alternativ verfügbaren „Anwaltsteam“-Weste gegriffen. Diese Ausführung entgegen der klarstellenden Äußerung von RA Koslowsi erst kurz zuvor empörte die Prozessbeobachter. Unter jenen war man auch verwundert über die ohne jede Begründung beschlossene Beibehaltung der Tagessatzhöhe, obwohl sogar die Staatsanwaltschaft eine Reduzierung gefordert hatte. Bereits dies dürfte das Bayerische Oberste Landesgericht in der Revision rügen. Der Angeklagte und beide Verteidiger kündigten bereits kurz nach Ende an, gegen das Berufungsurteil Revision einzulegen (evtl. hätte man bereits – ohne die das verhindernde Berufungseinlegung der Staatsanwaltschaft – gleich nach dem erstinstanzlichen Urteil sog. Sprungrevision eingelegt gehabt).
Es gehe, so RA Grimm kurz darauf, hier wirklich um eine durchaus wichtige Weiterbildung des Rechts in Bezug auf den § 132 a StGB. Denn eine solche Frage (Westentragen strafbar?) sei noch nie vorher aufgekommen. Selbst bei einem heutigen Freispruch für seinen Mandaten hätte die Staatsanwaltschaft absehbarerweise Revision eingelegt. Würde auch das BayObLG das Urteil bestätigen, so würde jemand, der einen Kugelschreiber mit Aufdruck Rechtsanwalt verwende, womöglich Gefahr laufen, deswegen strafrechtlich verfolgt zu werden, was natürlich absurd sei und eine Katastrophe wäre.