Am 21. November 2018 fand vor dem Landgericht München I die Berufungsverhandlung wegen Beleidigung gegen den freien Journalisten Uli Gellermann aus Berlin statt.
Diesmal gab es, anders als in der ersten Instanz (über die rbk hier bereits berichtet hatte), keine überraschende Verlegung um ein paar Stunden nach vorne, die Öffentlichkeit des Verfahrens war also wenigstens bei der Berufung gewahrt, wenngleich die Zahl der Zuschauer bzw. Interessenten recht überschaubar blieb.
Zugegen waren diesmal erstmals auch sowohl der angeklagte Journalist aus Berlin, als auch der SZ-Journalist, den er beleidigt haben soll, der in den USA wohnhafte Hubert Wetzel als Zeuge. Beide waren in Begleitung ihres anwaltlichen Rechtsbeistandes erschienen, was bei Zeugen eher ungewöhnlich, aber zulässig ist.
Nachdem der Vorsitzende Richter die Personalien festgestellt und in die Sache eingeführt hatte, fragte er Gellermann, ob er sich zu dem Vorwurf der Beleidigung äußern wolle. Das war der Fall.
Eloquent und ausgiebig legte er dar, daß er nicht nur keine Beleidigungsabsicht hatte und Wetzel ja gar nicht kenne, sondern daß er Kritik an der Methode, am journalistischen Stil, der sich in der Süddeutschen Zeitung ausbreite, habe äußern wollen. Denn es sei – zurückhaltend formuliert – schlicht schlechter journalistischer Stil, mit Konjunktivformulierungen (wie „es könnte sein, daß…“) faktische Nichtaussagen und völlig unbelegte Behauptungen in den Raum zu werfen und dann auch noch zu instrumentalisieren. So etwas erinnere sehr stark an Propaganda und diene zum gezielten Aufbau eines Feindbildes.
Der SZ-Artikel habe sich auf höchst dubiose Geheimdienstquellen berufen, ohne die Leser auch nur ansatzweise darüber aufzuklären, daß Geheimdienste stets interessengeleitete Organisationen seien, nicht jedoch Institutionen zur informierenden Aufklärung der Öffentlichkeit.
Letztlich sei wohl nicht einmal Trump das Hauptangriffsziel, sondern Putin. Er, Gellermann, möge Trump zwar nicht, aber bei dem Artikel wurde eben mit Formulierungen wie „Nichts ist bewiesen, aber die Details reichen klar, um die Dienste in Alarm zu versetzen“ gegen Trump in sehr kritikwürdigem journalistischen Stil gearbeitet. Und daher hatte wiederum er in seinem Blogbeitrag eben dieses Beispiel zum Aufhänger seiner Kritik genommen. Der erste Halbsatz des Zitats von Wetzel besage eigentlich, es gebe für nichts irgendwelche Beweise, der hintere Satzteil suggeriere dann aber dennoch, es liege genug gegen Trump und/oder Putin vor, um die Geheimdienste in Alarm zu versetzen, also müsse ja etwas dran sein.
Auf Rückfrage des Vorsitzenden Richters nach dem Grund für die Überschriftsformulierung „Ein postfaktisches Arschloch in der SÜDDEUTSCHEN“ meinte Gellermann, Artikel-Überschriften nähmen nur prägnant, verkürzt und überspitzt Bezug auf den Inhalt, der hier eine sarkastisch-ironisch gemeinte Replik sei, mit der er der SZ habe spiegeln wollen, wie unseriös und journalistisch unter ihrem eigenen jahrzehntelangen Anspruchsniveau bleibend sie in jüngster Zeit – festgemacht eben am Beispiel des Wetzel-Artikels – gearbeitet habe.
Verteidiger Woicke ergänzte, daß zudem die Überschrift eine Art Spiegelung der Überschrift im Originalartikel von Wetzel sei. Denn der sei nicht online erschienen, sondern auf der Kommentarseite (Seite 3) der Printausgabe. Und die Überschrift habe „Goldene Zeiten“ gelautet. Er als Anwalt wolle aber nun keineswegs Wetzel unterstellen, dieser habe damit auf in seinem eigentlichen SZ-Artikel angesprochene, Trump etwa nachgesagte (sexuelle) Vorlieben zwielichtiger Art anspielen wollen, aber auch sein Mandant habe eben mit einer ähnlich stilistisch spiegelnden Überschrift dem Journalisten Wetzel nichts Beleidigendes andichten wollen.
Der Vorsitzende Richter fragte auch noch nach dem Schlußabsatz vom Gellermanns Blogbeitrag. Da habe er doch nicht im Konjunktiv etwas aufgegriffen, sondern da stehe womöglich eine Fomulierung mit „Arschloch“ als Tatsachenbehauptung.
Gellermann erwiderte, er habe in einem Eingangsabsatz klargemacht, wie man über Wetzel schreiben könnte, wenn man die von ihm angewandte fragwürdige Methode auf ihn selbst anwenden würde. Das gelte für alle folgenden Absätze, inklusive dem letzten.
Verteidiger Woicke ergänzte, daß im Schlußabsatz Wetzel ohnehin gar nicht mehr angesprochen sein konnte. Denn da habe sein Mandant ja geschrieben:
„Das macht das normale SÜDDEUTSCHE-Arschloch zu …“. Hier sei also generell der in diesem Medium um sich greifende Methodik-Stil auf die Schippe genommen worden, nicht aber ein einzelner Redakteur oder Journalist, wie etwa Wetzel, der laut Anklage beleidigt worden sein soll.
Dann wurde der Zeuge, also Wetzel, hereingebeten. Er und sein Anwalt nahmen in der Saalmitte kurz Platz. Nach Klärung seiner Personalien sollte er darlegen, wie sich der Sachverhalt aus seiner Sicht zugetragen habe. Wenige Tage nach seinem Beitrag in der Süddeutschen habe er im Internet den Blogbeitrag Gellermanns entdeckt, aber nicht weiter beachtet. Wenige Tage später habe ihm aber der Ressortleiter mitgeteilt, die Rechtsabteilung der SZ werde deswegen gegen Gellermann tätig werden.
Der Vorsitzende fragte dann zurück, was er dabei gemacht bzw. dazu beigetragen habe. Wetzel antwortete mit „nichts“. Der Vorsitzende fragte kurz die Parteien, also Staatsanwalt und Verteidiger, ob sie sich dazu äußern möchten, fuhr dann aber zügig selbst fort.
Die Sache sei damit erledigt, man könne bereits aufhören. Der Wille sei nicht übertragbar. Nach dieser eindeutigen Aussage des Zeugen habe nicht er selbst fristgerecht Strafantrag gestellt oder dies machen lassen wollen. Nachholbar sei dies laut gefestigter Rechtsprechung über Jahrzehnte hinweg ebenfalls nicht.
Beleidigung sei ein Antragsdelikt, eindeutig wurde jedoch hier § 77 StGB nicht eingehalten (Absatz 1: „Ist die Tat nur auf Antrag verfolgbar, so kann, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, der Verletzte den Antrag stellen.“). Der Zeuge habe eingeräumt, mit der Strafantragsstellung wegen des Vorwurfs der Beleidigung nichts zu tun gehabt zu haben.
Der Verteidiger durfte dann in aller Kürze das formal noch abzuarbeitende Plädoyer halten. Es habe sich gezeigt, daß weder ein Strafbefehl erlassen werden, noch ein erstinstanzliches Urteil gegen Gellermann nach dessen Einspruch ergehen habe dürfen.
Sein Mandant sei freizusprechen bzw. das Urteil aufzuheben und die Kosten und Auslagen seien der Staatskasse aufzuerlegen.
Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft schloß sich in seinem Plädoyer dem Verteidiger vollumfänglich an.
Gellermann gab dann nur noch wenige kurze Sätze als letztes Wort von sich. Es spielte dabei den Schwarzen Peter der Staatsanwaltschaft zu, die wohl nun in den eigenen Reihen einiges zu klären und aufzuarbeiten haben werde.
Bereits nach ca. 25 Minuten war also alles gelaufen. Nach Unterbrechung um wenige Minuten verkündete dann der Vorsitzende Richter, die beiden Schöffen neben sich stehend, just diesen vollen Erfolg für Gellermann per Urteilsspruch. In der Begründung führte er aus, es habe schon an der Prozeßvoraussetzung gefehlt.
Das war natürlich eine schallende Ohrfeige für die Staatsanwaltschaft München I, die laut Vorsitzendem zwar die mögliche Problematik laut Akte erkannt und zu eruieren begonnen habe. Doch sie habe das nicht zu Ende gebracht, sondern trotz fehlender Anzeigeerstattung durch Wetzel binnen 3 Monaten (ab der „Beleidigungstat“ bzw. Kenntnisnahme davon) einfach weitergemacht.
Einmal mehr fällt damit rückwirkend ein äußerst ungünstiges Licht auf das Amtsgericht München, das sich nämlich nicht bemüßigt gefühlt hatte, dieses simple richterliche Kleine Einmaleins anzuwenden. Unter anderem Frau Silberzweig, die Strafrichterin der ersten Instanz, sollte einmal in sich gehen und sich fragen, ob in politisch gefärbten Prozessen (wie zum Beispiel im Gellermann-Fall, aber es gibt auch unzählige andere) eine geistige Haltung, die den Eindruck erweckt, daß sie primär nur Konzern- und Lobbyinteressen dient und diese bedient, eine gute Idee sein kann, insbesondere wenn es um Meinungs-, Rede- und Pressefreiheit geht.
Auch wenn die eigentliche strittige Frage, also ob die Formulierungen Gellermanns strafwürdig waren, nicht mehr behandelt werden mußte und nicht wurde, gab es dennoch ein einwandfreies Ergebnis dieser Berufungsverhandlung.
Und so eilten Uli Gellermann und sein Verteidiger Woicke hurtig zurück zum Flughafen, um ihren dicht gedrängten Tagesausflug nach München wegen der von der Süddeutschen Zeitung (und ihren heldenhaft danebenliegenden Volljuristen an Bord des Konzernschiffs) angestrengten Justiz-Farce zu beenden und den raschen Rückflug nach Berlin anzutreten – und dies leider faktisch auf Steuerzahlerkosten, nicht etwa auf Kosten der Verursacher dieses völlig unnötigen Prozesses.