Prozessbericht von RBK vom 22.11.2022
Am Dienstag, den 22. November 2022, wurde ab 13 Uhr das Strafverfahren gegen einen Wirtschaftsjuristen wegen des Vorwurfs eines Verstoßes gegen § 132a StGB [Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen] vor dem Amtsgericht München neu zur Hauptverhandlung angesetzt. Es war insoweit keine Fortsetzung, da die Hauptverhandlung vom 03. Juni 2022 damit endete, dass das Gericht eine Verfahrensaussetzung beschloss (Prozessbericht vom 03.06.22 hier).
Das bedeutete, dass sämtliche Zeugen vom 03. Juni erneut geladen waren, u.a. also der Einsatzleiter der Polizei G., die Rechtsanwältin Raphaela Dichtl aus Passau, der Videoblogger des Kanals „Augsburg unmaskiert“ und weitere. Zusätzlich präsentierte die Verteidigung den nicht vom Gericht geladenen Rechtsanwalt Harald Vogler aus dem Raum Nürnberg/Erlangen.
Doch nur zwei der Zeugen wurden auch gehört, die anderen entlassen, ggf. gegen Fahrtkosten-/Aufwandsentschädigung. Dem ging voraus ein sehr langes Rechtsgespräch im Richterzimmer der Strafrichterin (Richterin am Amtsgericht) Krombholz unter Beteiligung der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft München I und den Strafverteidigern Stefan Koslowski und Dr. Christian Knoche (Verteidiger Ralf Dalla Fini war diesmal verhindert).
Es war auffällig, dass selbst nach Rückkehr der Strafrichterin und der beiden Strafverteidiger man noch etliche Minuten auf die Rückkehr der Staatsanwältin warten musste, die offenbar telefonisch erst das Plazet für das vereinbarte weitere Vorgehen einholen musste.
Als Ergebnis dieses erörternden Rechtsgesprächs erfolgte dann jedenfalls eine Beschränkung der Verfolgung nach § 154a Absatz 2 StPO („Nach Einreichung der Anklageschrift kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Beschränkung vornehmen“). Fallen gelassen wurde demnach die etwaige weitere Verfolgung gemäß des Teils der Anklageschrift, bei dem dem Angeklagten vorgeworfen worden war, er hätte gegenüber dem Polizeieinsatzleiter G. auf dessen Ansprache hin gesagt: „Ja, ich bin Rechtsanwalt“ (dieser Anklagedarstellung hatten am 03.06.2022 mehrere Zeugen vehement widersprochen).
Es ging somit „nur noch“ um den Vorwurf, der Angeklagte habe am 23. Oktober 2020 auf einer Versammlung auf dem Odeonsplatz in München im Rahmen einer Versammlung eine gelbe (Warn-)Weste mit Aufdruck „Rechtsanwalt / Lawyer“ getragen und sich somit womöglich strafbar gemacht, da er kein in der BRD zugelassener Rechtswalt sei, aber unbefugt die Berufsbezeichnung Rechtsanwalt im Sinne des § 132a StGB geführt habe.
Gehört wurden dann zunächst die Rechtsanwältin Dichtl, gefolgt von Rechtsanwalt Vogler als Zeugen. Sie beide trugen auch eine – leicht anders gestaltete – Weste am 23. Oktober 2020 bei jener Versammlung, ihre trug jedoch den Aufdruck „Rechtsanwaltsteam“. Die Rechtsanwältin erklärte in ihrer Zeugenaussage, die Westen waren primär ein Hinweis auf eine Ordnerfunktion, so sei es gemeint gewesen und von den Leuten verstanden worden. Sie erklärte, sie erinnere noch genau, wie der Angeklagte, gleichsam „trotz“ des Tragens seiner eigenen inkriminierten Weste, per Megaphon rufend sinngemäß in die umgebende Menge gefragt habe, ob hier in der Nähe ein (Rechts-)Anwalt sei, der nämlich gerade rasch benötigt werde. Zeuge Vogler betonte, er habe auf der Versammlung, bei der er mitunter auch laut mit dem Einsatzleiter G. gestritten habe, stets seinen Anwaltsausweis mit ausgestreckter Hand gegenüber Polizeibeamten vorgezeigt, wenn er sich manchen Stellen bzw. bzw. von Polizisten bedrängten Versammlungsteilnehmern nähern wollte, weil er es für nötig erachtete, als anwesender Rechtsanwalt (deeskalierend) zu intervenieren. Der Anwaltsausweis sei wie eine Art Türschlüssel, ähnlich wie bei gerichtlichen Eingangsschleusen, nicht hingegen eine bloße Weste, auch wenn er eine trug. Beide Zeugen erklärten, der Angeklagte habe sich ihnen gegenüber nie als Rechtsanwalt ausgegeben, und beiden war auch klar, dass er keiner sei.
Bei der Verlesung des Auszugs aus dem Bundeszentralregister wurde dann eine bereits beglichene, nicht einschlägige geringfügige Verfehlung als neu erwähnt, mit der ein nordbayerisches Amtsgericht im Juni befasst war, was einen akzeptierten Strafbefehl in mittlerer dreistelliger Euro-Betragshöhe zur Folge gehabt hatte. Deswegen war dann im Falle einer Verurteilung die Anwendung eines sog. Härteausgleichs zu beachten (ohne die Begleichung wäre rechtssystematisch eine Gesamtstrafenbildung vorzunehmen gewesen), mit der Folge der Absenkung einer etwaigen Tagessatzanzahl, um eine unangemessene Benachteiligung des Angeklagten wegen der bereits geleisteten anderweitigen Geldstrafe zu vermeiden.
Der Angeklagte und seine Verteidiger führten aus, ihm sei durch die Maßnahmen der Staatsanwaltschaft (weitreichende Beschlagnahmungen usw.) vorerst die Fortführung seiner bisherigen wirtschaftlichen Existenz verunmöglicht worden. Zudem sei er vor kurzem Vater geworden, habe also formal Unterhaltsverpflichtungen und faktisch einen deutlich gesteigerten Finanzbedarf.
Die Staatsanwältin plädierte letztlich auf 70 Tagessätze à 20 Euro. Die Tagessatzhöhe begründe sich mit der derzeit angespannten wirtschaftlichen Lage. Bei der Tagessatzanzahl sei zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass er auf die Rückgabe des Asservats Warnweste durch die Staatsanwaltschaft ausdrücklich verzichte. Zu seinen Lasten, dass die Tat vor einer solch großen Menge von Menschen begangen worden sei.
Beide Verteidiger plädierten auf Freispruch, der sich zuerst äußernde hilfsweise, für den Fall, dass die Strafrichterin dies anders sehen sollte, auf maximal 30 Tagessätze. Wenn sie als Rechtsanwälte eine gelbe Weste mit Aufschrift „Rechtsanwalt / Lawyer“ tragen würden, würde ihnen sofort das Wort entzogen und ihre weitere Tätigkeit im Verfahren unterbunden. Typische Berufskleidung eines Rechtsanwalts sei eine Robe, oft gäbe es daher auch eine entsprechende Robentrageverpflichtung in Gerichtsverfahren. Die Aufschrift oder Bezeichnung „Lawyer“ sei weder von Strafe bedroht, noch beim Angeklagten offenkundig fehl am Platze, der schließlich Wirtschaftsjurist (mit dem damit verbundenen juristischem Hintergrundwissen) sei. Der Angeklagte habe sich nie als Rechtsanwalt bezeichnet, er habe nicht den Eindruck erwecken wollen, einer zu sein, der § 132a StGB sei objektiv hier nicht anwendbar und es habe dem Angeklagten auch subjektiv an jeglichem Vorsatz zu einer derartigen strafbaren Handlung gefehlt. Vielmehr habe er per Megaphon sogar in die Menge gerufen, ob ein (Rechts-)Anwalt in der Nähe sei. Man verdiene nicht einmal theoretisch als Rechtsanwalt damit Geld, indem man mit einer gelben Warnweste auf einer Versammlung sei. Der Schutzzweck des § 132a StGB sei auf die Allgemeinheit bezogen, die vor Hochstaplern zu schützen sei. Dies habe u.a. der BGH betont. Das OLG München wiederum habe sogar einen Angeklagten freigesprochen, der sich als Maharadscha ausgab, weil dies seit 1947 keine offizielle Amtsträgerbezeichnung in Indien mehr sei. Jene „Tat“ sei aber offenkundig im Zweifel deutlich schwerwiegender als das Tragen einer Weste mit einer wie auch immer gearteten Buchstabenfolge darauf. Dies umso mehr als weder zu Teilnehmern gesagt worden sei, man sei als Träger dieser inkriminierten Weste Rechtsanwalt, noch wäre ein (fingierter) Anwaltsausweis vorhanden oder gar präsentiert worden.
Der Angeklagte betonte im letzten Wort, er habe nur wie ein Ordner unterstützend helfen wollen, gerade an jenem 23.10.2020, an dem die Polizei, ausgehend vom Einsatzleiter, eine unerwartet rigide Haltung an den Tag gelegt habe. Er habe zu keiner Zeit den Eindruck erwecken wollen, Rechtsanwalt zu sein, der er schließlich nicht sei.
Nach kurzer Pause zum Niederschreiben des Urteils verkündete die Strafrichterin eine Verurteilung zu 50 Tagessätzen à 20 Euro, also 1.000 Euro Geldstrafe. Das objektive Geständnis bzgl. des Tragens der Weste (wobei es aber auch Foto-/Videobeweise gegeben habe) sei u.a. strafmildernd gewesen, wie auch die Tatsache, zum Tatzeitpunkt unbestraft (ohne Vorstrafen) gewesen zu sein. Es reiche aber bedingter Vorsatz, also billigende Inkaufnahme, dass er bei der großen Zahl von Versammlungsteilnehmern von einigen durchaus aufgrund der Weste für einen Rechtsanwalt gehalten werde, und einen solchen sehe sie selbst hier ganz klar. Die anderen Rechtsanwälte (insbesondere Dichtl, Vogler) hätten an jenem Tag auf der Versammlung schließlich auch recht ähnliche Westen getragen und hätten durchaus als Rechtsanwälte wahrgenommen werden wollen.
Um 15.38 Uhr wurde die Sitzung geschlossen.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. der Angeklagte betonte gleich nach Beendigung der Hauptverhandlung vor dem Gerichtsgebäude, er werde Rechtsmittel einlegen. Auch die Verteidiger erklärten, sie sähen die Verurteilung als klar rechtsfehlerhaft an. Die Tatbestandsmerkmale seien keinesfalls durch das Tragen einer solchen gelben Weste erfüllt gewesen. Es sind als Rechtsmittel Berufung oder (Sprung-)Revision (sowie vorerst offenlassendes unbenanntes Rechtsmittel) möglich. Falls jedoch die Staatsanwaltschaft ihrerseits Berufung einlegen sollte, so würde in jedem Falle über eine Berufung verhandelt.
[ Aktenzeichen: 813 Cs 116 Js 205501/20 (2) AG München ]